Gläubigerbenachteiligung / Vorsatzanfechtung

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Der Insolvenzverwalter handelt in erster Linie im Gläubigerinteresse. Seine Aufgabe ist es, so viel Geld wie möglich zur Masse zu ziehen, um die Gläubiger gleichermaßen mit einem prozentualen Anteil (Quote) zu befriedigen.

Er hat weiterhin die Aufgabe, die Masse zu mehren – nebenbei bemerkt ist dies auch in seinem eigenen Interesse, denn je mehr er „eintreibt“, desto mehr verdient er auch. So erhält er von den ersten 25.000 €, die er eintreibt, satte 40%. Andererseits macht er sich ggf. gegenüber den Gläubigern schadensersatzpflichtig, wenn er beispielsweise ein Unternehmen unter Wert verkauft oder die zur Insolvenzmasse gezogenen Dinge wie z.B. ein Fahrzeug zu billig verwerten lässt.

In der Vergangenheit sind manche Insolvenzverwalter dabei jedoch zu weit gegangen. Dem hat der BGH (06.05.2021 IX ZR 72/20) nun einen Riegel vorgeschoben. Er hat nämlich ausgeurteilt, dass die Insolvenzanfechtung nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist.

Die Leitsätze:

1. Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig ist.

2. Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.

3. Für den Vollbeweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners muss der Anfechtungsgegner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.

4. Auf eine im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung nur drohende Zahlungsunfähigkeit kann der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht gestützt werden.

5. Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen.

6. Stärke und Dauer der Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung hängen davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist; dies gilt insbesondere für den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners.

Um es auf den Punkt zu bringen:

Es kann nicht generell von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ausgegangen werden, wenn kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch einzelne Gläubiger exakt das erhalten (kongruente Deckung), was ihnen zusteht. Auch kann bei Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit bei Bestehen eines Liquiditätsengpasses nicht zugleich Vorsatz unterstellt werden; denn die Hoffnung, das Unternehmen noch retten zu können, stirbt bekanntlich zuletzt.

Die Fristen und Insolvenzanfechtungsgründe im Einzelnen mit Beispielen:

§ 130 InsO – 3 Monate vor Anmeldung der Insolvenz

  • Gläubiger hat nachweislich (nach Mahnbescheid werden Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen und nicht eingehalten) Kenntnis über Zahlungsunfähigkeit oder den bereits gestellten Eröffnungsantrag

§ 131 InsO – 3 Monate vor Anmeldung der Insolvenz

  • Rechnungen von Schlüssellieferanten werden vom Schuldner vorzeitig oder überhöht bezahlt (Leistung erfolgt nicht so, wie vertraglich vereinbart)

Die Anfechtung ist bei Vorkasse bzw. dem sog. Bargeschäft nach § 142 InsO ausgeschlossen.

§ 132 InsO – 3 Monate vor Anmeldung der Insolvenz

  • Schuldner verkauft (verschleudert) eine Immobilie oder ein Fahrzeug unter Marktwert an einen Familienangehörigen. Der Käufer kennt die Umstände des Verkaufs und zahlt den Kaufpreis an den Verkäufer (Schuldner). Durch die Kenntnis des Käufers kann der spätere Insolvenzverwalter die erneute Zahlung an die Insolvenzmasse verlangen und somit den Kaufvertrag mit der Zahlung anfechten. Außerdem Strafbarkeit Bankrott, welches zum Versagen der Restschuldbefreiung führen kann.

§ 133 Abs. 4 InsO – 2 Jahre vor Insolvenz

  • Schuldner verkauft eine Immobilie oder ein Fahrzeug zum Marktwert an einen Familienangehörigen. Der Käufer kennt die Umstände des Verkaufs und zahlt den Kaufpreis an den Verkäufer (Schuldner). Durch die Kenntnis des Käufers kann der spätere Insolvenzverwalter die erneute Zahlung an die Insolvenzmasse verlangen und somit den Kaufvertrag mit der Zahlung anfechten. Das (angemessene) Fahrzeug, welches zur Ausübung des Berufes benötigt wird, ist übrigens pfändungsgeschützt: eine entsprechende Bestätigung des Arbeitgebers sollte dem Insolvenzverwalter vorgelegt werden, damit dieser das Fahrzeug aus der Masse freigibt.

§ 134 InsO – 4 Jahre vor Insolvenz

  • Verschenkt der Schuldner seine Immobilie oder sein Fahrzeug ist diese unentgeltliche Leistung ohne Voraussetzung anfechtbar. Gelegenheitsgeschenke von geringem Wert bleiben hiervon unberührt.

§ 133 InsO – bis zu 10 Jahre

Die Voraussetzungen einer Anfechtung müssen vom Insolvenzverwalter vollumfänglich bewiesen und belegt werden. Hierfür sind auch Indizien zulässig die belegen, dass der Gläubiger die bereits eingetretene oder auch nur die drohende Zahlungsunfähigkeit kannte. Der Vertrauensschutz des Dritten in Verbindung mit der Hoffnung des Schuldners, künftig wieder alle Verbindlichkeiten bedienen zu können, ist jedoch für den BGH im Urteil von entscheidender Bedeutung: Erhält der Gläubiger das, was ihm zusteht, kann nicht grundsätzlich von bösem Willen ausgegangen werden. Es ist demnach eingehend zu prüfen, inwieweit die mögliche Kenntnis auch einem Vorsatz entspricht.

  • Überweist der Schuldner in der Hoffnung des Fortbestehens seines Betriebes die rückständigen Mieten, um einem Fremdantrag des Vermieters vorzubeugen und benachteiligt damit vorsätzlich andere Gläubiger, war diese Nachzahlung bisher anfechtbar. Es ist zu prüfen, ob der Vermieter von der vorsätzlichen Benachteiligung anderer Gläubiger und der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wußte.

§ 135 InsO – 1 – 10 Jahre

  • Anfechtbarkeit einer Sicherungsübereignung des Gesellschafters einer GmbH: Gesellschafter gewährt ein Darlehen innerhalb der letzten 10 Jahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und fordert zu einem späteren Zeitpunkt bei Schieflage des Unternehmens eine Sicherungsübereignung (z.B. für den Fuhrpark). Diese Sicherungsübereignung ist bis zu 10 Jahren anfechtbar. Achtung: Nach § 135 I InsO ist jede Sicherungsgewährung der letzten 10 Jahre anfechtbar, d.h., es kommt überhaupt nicht darauf an, ob die Sicherung gleich bei Darlehensgewährung oder später gewährt worden ist.
  • Anfechtbarkeit einer Ratenzahlung zur Darlehensrückführung aus dem gewährten Darlehen eines Gesellschafters an die GmbH: Wird bis zu einem Jahr vor Insolvenzanmeldung eine Rate zurückgezahlt, ist diese Rückzahlung anfechtbar.
  • Anfechtbarkeit einer Teilzahlung zur Darlehensrückführung eines Darlehens mit Bürgschaft oder Sicherungsübereignung durch den Gesellschafter an die GmbH: Wird bis zu einem Jahr vor Insolvenzanmeldung eine teilweise Abzahlung vorgenommen, ist diese Rückzahlung anfechtbar. Der Insolvenzverwalter kann diese Teilzahlung vom Gesellschafter zurückverlangen, da dieser für die von ihm gesicherten Verbindlichkeiten einzustehen hat.

Insolvenzanfechtungen verjähren (§ 146 Abs. 1 InsO), wie auch der Eintrag der Restschuldbefreiung in der Schufa, nach Ablauf von 3 Jahren seit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist.

Das Thema Insolvenz ist generell extrem komplex, teilweise nicht nachvollziehbar und auch sehr ungerecht. Der Insolvenzverwalter hat keine Beratungspflichten und nur in seltenen Ausnahmen auch Verständnis und ein offenes Ohr für die Schuldner.

Achtung: Es ist auf Seiten des Juristen nicht zulässig zuerst zu beraten und dann die Insolvenz abzuwickeln. Der Verwalter muss sogar dem Gericht bestätigen, dass er vorher nicht beraten hat. Beweismittel wäre hier eine Rechnung, die vom beratenden Rechtsanwalt gestellt wurde. Merke: Mit einer wirksamen Strategie sind Krisensituationen nachhaltig beherrschbar!

Urteile zum Thema: BGH, Beschluss vom 02.03.2023 V ZB 64/2: Pfändbarkeit des Wohnungsrechtes bei Insolvenz des wohnungsberechtigen Grundstückseigentümers (Löschung durch Insolvenzverwalter), VG, Urteil vom 25.10.2023 8 K 2236/23: Wiederaufbauhilfe nach Flutkatastrophe ist zweckgebunden

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